Hypnosystemik

Hypnosystemik steht vorrangig für eine autopoietische Perspektive auf das Leben (im Gegensatz zu einer kausal mechanistischen), zusammen mit einer daraus folgenden inneren Grundhaltung der ‚Gewaltlosigkeit‘ und des ‚Nicht-Wissens‘, mit der menschliche Entwicklung in Beratung, Coaching und Therapie begleitet wird.

Vorreiter und bekanntester Entwickler hypnosystemischer Konzepte ist Dr. Gunther Schmidt. Zusammen mit seinem Team hat er hypnotherapeutische Ansätze von Milton H. Erickson, Ideen der Systemischen Therapie und die neueren neurobiologischen Erkenntnisse miteinander integriert und dazu passende ganzheitliche, ressourcen- und lösungsfokussierenden Vorgehensweisen entwickelt.

Den Begriff Hypnosystemik benutzen wir damit sowohl für die Gesamtheit hypnosystemischer Konzepte und Ansätze, wie auch für die innere Haltung, die sich durch ihre Umsetzung ausdrückt.

Die drei wichtigsten Bereiche sind dabei die Autopoiesis menschlichen Verhaltens, der Umgang der Menschen miteinander und die Selbstorganisation in der Entwicklung, sowohl bei einzelnen Menschen, wie auch in Organisationen und Gemeinschaften.

Im folgenden einige Fragen, Annahmen und Schlagworte zu diesen Bereichen:

Wie entsteht mein Erleben?

Und auch: Was kann ich wissen? … bzw.: What is it to know?

Grundannahmen:

  • Alle Erlebnisse mit ‚emotionalem Gehalt‘ (emotional geladene Erlebnis-Prozesse) werden, als eigenständige Erlebnis-Netzwerke gespeichert … und miteinander verknüpft.
  • Erleben (erlebte ‚Wirklichkeit‘) wird von Moment zu Moment neu erzeugt … durch Fokussierung von Aufmerksamkeit … auf Aspekte (bestimmte Ausschnitte) meiner von mir bislang schon gemachten Erfahrungen (meiner Lerngeschichte = Sammlung meiner Erlebnisse s.o.).
  • Dies ist von Beginn an ein zwischenmenschlicher (interaktioneller) Prozess und ein vielseitiges Wechselspiel mit der ‚Umwelt‘ (wie in ein Tanz).
  • Im Gehirn wirken immer die Bilder (Prozesse & Erlebnis-Netzwerke), die gegenwärtig feuern … sie erzeugen so das gegenwärtige Erleben.

daraus folgt:

  • Bedeutung und Wirkung einer Botschaft (auch dieses Textes hier) bestimmt (letztlich immer allein und ausschließlich) die:er Empfänger:in.

Weiterführende Stichworte: Autopoiesis — Prozesse und Organismen — Konstruktivismus — Synergetik — funktionaler Kontextualismus — Pragmatismus

Wer entsteht mein Verhalten?

Und: Wie kann ich es ändern?

Grundannahmen:

  • Alles, was Menschen tun, zielt darauf natürliche (allen Menschen eigene) Bedürfnisse zu erfüllen … und wirkt (funktioniert) unterschiedlich gut.
  • Verhalten entsteht von Moment zu Moment neu … als Wiederholung gelernter Muster … oder als willentlicher (willkürlicher), tastender Versuch, etwas Neues auszuprobieren.
  • Natürlicherweise auftretenden ständigen Veränderungen und daraus folgenden Dysbalancen, begegnen Menschen überwiegend mit gelernten (gewohnten) Verhaltensweisen (Mustern), die unwillkürlich, und damit sehr energiesparend (ökonomisch), ablaufen.
  • Bedürfnisse und Werte lenken Tatkraft (Energie) in lebensdienliche Richtungen. Bleiben Bedürfnisse lange unbeachtet, unerfüllt und ‚ungenährt‘, zeigt sich das in Symptomen, die üblicherweise als Krankheit bezeichnet werden.
  • Wenn gelernte Verhaltensweisen nicht mehr lebensdienlich wirken, können sie verändert werden … und es können auch ganz neue Verhaltensweisen entwickelt werden. Beides kostet Energie/Kraft und bedeutet immer eine Phase der Unsicherheit (Inkohärenz).

daraus folgt:

  • Menschen entscheiden sich immer für etwas … und jede:r tut zu jedem Zeitpunkt das Beste was ihr/ihm gerade möglich ist.

Weiterführende Stichworte: Autopoiesis — Prozesse und Organismen — Wahlfreiheit — Achtsamkeit — Synergetik — funktionaler Kontextualismus — Pragmatismus

Wie will ich mit Menschen umgehen?

oder: Mit welcher Haltung will ich anderen … und auch mir selbst … begegnen?

Grundannahmen:

  • Menschen (und Organisationen) erleben ihr Erleben als wahr … und sind als Klienten Experten für eigene Prozesse.
  • Jedes menschliche Handeln ist ein Versuch, berechtigte Bedürfnisse zu erfüllen (s.o.) … und so Entwicklung voran zu bringen … oder Problem- bzw. Konflikt-Erleben zu beenden bzw. zu minimieren … siehe nächster Punkt.
  • Gemeinschaftliches Handeln, funktioniert dann besonders gut (im Sinne von: erfüllt möglichst viele Bedürfnisse), wenn die Beteiligten ihre Absichten (Bedürfnisse, Werte, Motivationen) transparent machen, sie wechselseitig als gleichberechtigt anerkennen und dann zieldienliche Verhaltensweisen vereinbaren.

Weiterführende Stichworte: Augenhöhe und Herzhöhe als gelebte Kultur von Wertschätzung und Gewaltlosigkeit — Vertrauensvorschuss, Vorannahme von „Guten Gründen“ — Angebote von alternativen Sichtweisen und „Realitäten“ — Fortwährende Feedback-Schleifen — Transparenz über eigene Wirklichkeitskonstruktionen, Hypothesen und therapeutische Interventionen — Wertschätzende, forschende Haltung — Austausch von subjektiven Wirklichkeiten und Wahr-Gebungen

Wie löse ich Probleme?

oder: Wie treibt systemische Selbstorganisation Entwicklung voran?

Grundannahmen:

  • Ein Problem-/Konflikt-Erleben entsteht, indem eine Ist/Soll-Abweichung definiert wird.
  • Erlebt mensch ein Problem bzw. einen Konflikt und will das ändern, ist es vorrangig wichtig, sich das gewünschte Erleben (die Lösungsbilder/-prozesse) zu verdeutlichen.
  • Einen Zugang zu hilfreichen Kompetenzen (inneren Ressourcen) lässt sich meist (am leichtesten) durch eine Veränderung der Körperhaltung finden.

Probleme lösen ist also vom Grundprinzip her einfach:

  1. Das Problem bewusst machen.
  2. Das erwünschte Erleben bewusst machen.
  3. Vom Problem-Erleben zum Lösungs-Erleben wechseln.

Oft ist dies jedoch nicht ganz so leicht umzusetzen, da sogenannte “Probleme” meist auf lang gelebten Verhaltens-Mustern basieren, die sehr stabil erscheinen; oft stabiler, als das erwünschte „neue Erleben“.
Gleichzeitig gibt es jedoch hinter jedem sogenannte “Problem” eine positiven Absicht bzw. eine zieldienliche Funktion. Ist die erst einmal entdeckt, können neue, weniger „problematische“ Wege gefunden werden, sie zu erfüllen … und das geht mit begleitender Unterstützung oft leichter.

Weiterführende Stichworte: Problem-Trance vs. Lösungs-Trance — Kontext- und Auswirkungs-Bewusstsein — Wechselwirkung von körperlichen und geistigen Prozessen — Etablierung einer sicheren Beobachterposition mit Steuerungsfähigkeit — Wertschätzung und Nutzen von unwillkürlichen Prozessen — Problem-Erleben als Lösungsversuche mit Preis — Etablierung und Stärkung einer ressourcen- und lösungsorientierten Haltung — Ganzheitliche metatheoretische Sichtweise — Utilisationsprinzip — Kybernetik 2. Ordnung — prozessorientierte Sichtweisen, Konzepte und Methoden (keine Verdinglichung der Innenwelt) — Arbeit mit unterschiedlichen inneren Prozessen (Seiten-Modell) — kontinuierliche Prozess-Reflektion.

 

Videos

Therapie auf Augenhöhe – das hypnosystemische Modell der sysTelios-Klinik — Gunther Schmidt im Gespräch mit Bernhard Trenkle

Symphonien mit allen Sinnen: die hypnosystemische Komposition optimaler Erlebnis-Netzwerke für erfüllende Lösungen — Gunther Schmidts Eröffnungsvortrag zum Kongress „Reden reicht nicht?!“ im Mai 2014 in der Stadthalle Heidelberg.

Heilen mit Hypnose – Die Macht der inneren Bilder — Ein Video aus der ARD Mediathek

Menschen erschöpft. Organisation erschöpft. Führung, was nun? — Gunther Schmidt in der Reihe „Leadership Revisited“ im Januar 2013 in Wien.

Hypnosystemik und Strukturaufstellungen (Ausschnitt) — Gunther Schmidt im Gespräch mit Matthias Varga von Kibéd

Dr. Bernd Schmid und Dr. Gunther Schmidt im Interview mit Alice Ryba und Daniel Pauw zum Buch: „Professionell coachen – konkret: Vom Erfahrungswissen zur Handlungskompetenz“

Gunther Schmidt im Interview mit Bernd Isert — Hier schildert Gunther Schmidt ausführlich seine Arbeit mit dem hypnosystemischen Integrationsmodell in Therapie und Beratung vom Beginn der Entwicklung bis zum heutigen Zeitpunkt.

Literatur

Und die Maus hört ein Rauschen: Hypnosystemisches Erleben in Therapie, Coaching und Beratung Martina Gross, Vera Popper, Carl-Auer, 2020 (Leseprobe)

Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung Gunther Schmidt, Carl-Auer, 8. Aufl. 2018 (Leseprobe)

Liebesaffären zwischen Problem und Lösung: Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten Gunther Schmidt, Carl-Auer, 7. Aufl. 2017 (Leseprobe)

Der Realitätenkellner: Hypnosystemische Konzepte in Beratung, Coaching und Supervision Werner A. Leeb, Bernhard Trenkle, Martin F. Weckenmann (Hrsg.), Carl-Auer, 2. Aufl. 2017 (Leseprobe)

Hypnose und Achtsamkeit – Zwei Schwestern auf dem Tandem Michael E. Harrer, Carl-Auer, Mai 2018 (Leseprobe)

Vom Sein zum Tun – Die Ursprünge der Biologie des Erkennens Humberto Maturana im Gespräch mit Bernhard Pörksen, Carl-Auer, 4. Aufl. 2018 (Leseprobe)

Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners – Gespräche für Skeptiker Heinz von Foerster im Gespräch mit Bernhard Pörksen, Carl-Auer, 12. Aufl. 2018 (Leseprobe)

Aufstellungsarbeit revisited – … nach Hellinger? Gunthard Weber, Gunther Schmidt, Fritz B. Simon Carl-Auer, 3. Aufl. 2016 (Leseprobe)

Selbstliebe als Lebenskunst: Ein systemisch-spiritueller Übungsweg Siegfried Essen, Carl-Auer, 7. Aufl. 2015 (Leseprobe)

Weitere Infos im Netz

Wunder-Antwort 20.2011 — Gunther Schmidt beschreibt Einstreutechniken, die Utilisation von „problem talk“, eine hypnosystemische Intervention „Der Heidelberger Stadtbummel“ und die konkrete Anwendung der „Wunderfrage“

meihei.de — Das von Gunther Schmidt gegründete Milton-Erickson-Institut Heidelberg sieht sich als Zentrum für hypnosystemische Kompetenzentfaltung

Hypnosystemische Charta (wird derzeit überarbeitet) — Thomas Evers führt die Ideen oben detaillierter aus mit zahlreichen weiterführenden Links.

Epistemologie für Fußgänger (wird derzeit überarbeitet) — „Was kann mensch wissen?“ Mit einer lebendigen Mischung aus Zitaten, Beschreibungen, Metaphern und Beispielen gibt Thomas Evers einen Einblick in die aktuellen Ideen zu der Frage.

 

aktualisiert am: 03.02.2020